Strafverfahrensrecht -

Kritische Anmerkung von Dierlamm zu der Jones-Day-Entscheidung des BVerfG (BRAK-Mitteilungen 2018, 204)

AD | Die Entscheidungen des BVerfG in den drei Beschwerdeverfahren sind aus anwaltlicher Sicht in Ergebnis und Begründung inakzeptabel. Nicht nachvollziehbar ist, dass sich das Gericht an entscheidenden Stellen maßgeblich auf das Erfordernis der „Effektivität der Strafverfolgung“ stützt, ohne im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung näher auf die Bedeutung des Vertrauensverhältnisses zwischen Rechtsanwalt und Mandant für die Funktionsfähigkeit der freien Advokatur einzugehen. So heißt es in der Entscheidung, dass die Anwendung der Vorschrift des § 160 a Abs. 1 S. 1 StPO auf den Bereich von Durchsuchungen einschließlich der vorläufigen Sicherstellung und auf Beschlagnahmen „die verfassungsrechtlich gebotene Effektivität der Strafverfolgung in erheblichem Maße“ beschränke (2 BvR 1405/17 und 2 BvR 1780/17, Rn. 78). Auch im Rahmen der Auslegung der Vorschrift des § 97 Abs. 1 Ziff. 3 StPO wird dem „Strafverfolgungsinteresse Vorrang vor dem Geheimhaltungsinteresse des Mandanten“ eingeräumt, eine andere Auslegung „würde zu einem weitreichenden Schutz vor Beschlagnahmen und darauf gerichteten Durchsuchungen bei Berufsgeheimnisträgern führen“ (aaO Rn. 90). Die Beschlüsse legen nahe, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant für das Gericht lediglich eine Streichposition war, die im Rahmen der Abwägung zwar zu erwähnen sei, die aber ohnehin dem gewichtigeren Strafverfolgungsinteresse weichen müsse. Diese Gewichtung überrascht auch deshalb, weil das BVerfG noch in seinen Beschlüssen nach § 32 Abs. 1 BVerfGG vom 25.07.2017 in gleicher Sache ganz maßgeblich auf „das im Rahmen von Art. 13 Abs. 1 GG zu berücksichtigende Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant“ abgestellt hatte. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des BVerfG, dass der Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Rechtsanwalt und Mandant zur Gewährleistung der freien Advokatur einen hohen verfassungsrechtlichen Rang genießt. So hatte das BVerfG u.a. in seiner Geldwäscheentscheidung vom 28.07.2015 – 2 BvR 2558/14 u.a. die Bedeutung des Vertrauensverhältnisses für die freie Advokatur und die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege insgesamt hervorgehoben. Die durch die freie Advokatur gewährleistete anwaltliche Berufsausübung ist durch die freie und unreglementierte Selbstbestimmung des Rechtsanwalts geprägt. Da der Rechtsanwalt auch Organ der Rechtspflege ist, liegt der Schutz der freien Berufsausübung nicht nur im individuellen Interesse des Anwalts oder seines Mandanten, sondern auch und vor allem im Interesse der Allgemeinheit. Ein Rechtsanwalt kann diese Aufgabe nur wahrnehmen, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant geschützt ist. Denn nur dann wird der Mandant sich seinem Rechtsanwalt anvertrauen und ihm alle zur Interessenwahrung erforderlichen Informationen zur Verfügung stellen. Das BVerfG hat noch jüngst in der Entscheidung zum BKA-Gesetz vom 20.04.2016 – 1 BvR 966/09 u.a. maßgeblich auf den „verfassungsrechtlich gebotenen Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Rechtsanwalt und Mandant“ abgestellt, wobei das Gericht hier gerade die vom Gesetzgeber herangezogene Unterscheidung zwischen Strafverteidigern und in anderen Mandatsverhältnissen tätigen Rechtsanwälten als Abgrenzungskriterium für einen unterschiedlichen Schutz als ungeeignet verworfen hat (aaO Rn. 257). Von alledem findet sich in den vorliegenden Beschlüssen nichts. Dies musste dazu führen, dass die Abwägung an einem Abwägungsdefizit leidet und völlig aus der Balance gerät. Eine Abwägung, die den Schutz der freien Advokatur als hohes verfassungsrechtliches Gut ignoriert oder jedenfalls zu einer Streichposition degeneriert, ist schon im Ansatz verfehlt und kann in Begründung und Ergebnis nicht tragfähig sein. Dies gilt im vorliegenden Sachverhalt in besonderer Weise, weil ein Mandatsauftrag, der – jedenfalls auch – auf die Aufklärung eines bestimmten Sachverhalts gerichtet ist, nur dann effektiv erfüllt werden kann, wenn der Mandant darauf vertrauen kann, dass die erteilten Informationen geschützt sind und nicht ohne seine Zustimmung an Dritte weitergegeben werden. Die Bundesrechtsanwaltskammer hat in ihren Thesen zum Unternehmensanwalt aus dem Jahre 2010 (BRAK-Stellungnahme Nr. 35/2010) deutlich gemacht, wie wichtig die Aufklärung straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtlicher Sachverhalte als Teil der Mandatstätigkeit des Unternehmensanwalts sein kann.

Besonders irritierend ist der Hinweis des Gerichts, es bestehe „ein hohes Missbrauchspotential“, „Beweismittel könnten gezielt in die Sphäre des Rechtsanwalts verlagert oder nur selektiv herausgegeben werden“ (2 BvR 1405/17 und 2 BvR 1780/17, Rn. 91). Hiermit werden nicht nur Mandanten, sondern auch und vor allem die Rechtsanwälte unter einen Generalverdacht gestellt, den Ermittlungsbehörden auf unzulässige Weise Beweismittel entziehen zu wollen. Ein solcher Verdacht ist unbegründet und durch nichts belegt. Unzutreffende Unterstellungen sind in einer grundrechtlichen Abwägungsentscheidung fehl am Platze.

Verfassungsrechtlich problematisch erscheint auch der Beschluss betreffend die Verfassungsbeschwerden der betroffenen Rechtsanwälte (2 BvR 1562/17). Wenn das Gericht eine eigene Betroffenheit der Rechtsanwälte in ihrem Grundrecht nach Art. 13 Abs. 1 GG mit der Begründung in Abrede stellt, diese seien „allein“ in ihrer Stellung als Rechtsanwälte und nicht in ihrer eigenen räumlichen Privatsphäre betroffen, auf der anderen Seite aber die Verfassungsbeschwerden der Kanzlei mit der Begründung nicht angenommen werden, die Beschwerdeführerin sei keine inländische juristische Person im Sinne von Art. 19 Abs. 3 GG (2 BvR 1287/17 und 2 BvR 1583/17), so führt dies im Ergebnis dazu, dass weder die Rechtsanwälte noch die Anwaltskanzlei grundrechtlichen Schutz genießen – ein Ergebnis, das mit dem hohen verfassungsrechtlichen Rang der freien Advokatur unvereinbar ist.

Rechtsanwalt Prof. Dr. Alfred Dierlamm, Wiesbaden

 

 

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